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Tole­ranz

Tole­ranz – was ist wahr­haf­ti­ge Toleranz?

Die aktu­el­le Flücht­lings­pro­ble­ma­tik in Deutsch­land hat damit natür­lich auch zu tun, aber dar­an allei­ne kann man das The­ma Tole­ranz nicht wirk­lich ver­ste­hen und lösen. Denn wenn man ver­sucht vom Spe­zi­el­len zum All­ge­mei­nen zu gelan­gen, so gelingt das meist nicht, weil der Ver­stand sich all­zu ger­ne im Spe­zi­el­len verheddert.

So ist nun mal der mensch­li­che Geist. Er bezieht ger­ne Posi­tio­nen. Und das wäre auch gar nicht mal das Pro­blem – vor­aus­ge­setzt ich wäre allei­ne auf der Welt. Dann wäre ich der allei­ni­ge Adam und könn­te den Platz unter mei­ner Pal­me so gestal­ten, wie ich woll­te. Käme aber Eva dazu, dann wür­den die Pro­ble­me ver­mut­lich begin­nen. Ent­we­der sie wür­de mich mit ihrer Unord­nung ner­ven und ich sie mit mei­nem Ord­nungs­wahn – oder umgekehrt.
Ich kann mir das leb­haft vor­stel­len: „Wie kannst Du nur so leben, in die­sem Sau­stall? Räu­me doch mal die Pal­men­blät­ter weg. Und über­haupt fin­de ich es eklig, wenn Du immer drü­ben an den Avo­ca­do­baum pinkelst…”

Naja. Und jetzt sind wir hier auf der Welt ja nicht nur ein paar, son­dern ein paar Mil­li­ar­den Men­schen. Und jeder Mensch hat sei­ne eige­nen Mei­nun­gen. Und Men­schen mit ähn­li­chen Mei­nun­gen ten­die­ren dazu, sich zusam­men zu rot­ten und gegen die Men­schen zu sein, die eine ande­re Mei­nung haben. Das geht zu jedem The­ma. Sogar soge­nann­te spi­ri­tu­el­le Men­schen tun das mit Vorliebe.
Da gibt es rich­ti­ge Glau­bens­krie­ge: Selbst­er­nann­te Erleuch­te­te bashen sich dann unter­ein­an­der, wer denn der Spi­ri­tu­el­le­re ist. Das pas­siert dann natür­lich alles ganz spi­ri­tu­ell kor­rekt – man sagt dann: „Ich wün­sche Dir, dass Du ganz ein­tau­chen kannst in das tota­le Bewusst­sein und hof­fe, dass es Dir gelingt Dein über­gro­ßes Ego letzt­end­lich zu über­win­den.” Heißt im Klar­text nichts ande­res als: „Du blö­der Schar­la­tan, ich bin erleuch­tet und DU bist es nicht… UND wirst es auch nie sein.”
Mit Tole­ranz hat das dann nur noch wenig zu tun. Mit so genann­ter „Erleuch­tung” genau­so wenig.

(Die­ses Video gibt es übri­gens auch auf Eng­lisch)

https://www.youtube.com/watch?v=P_lLneQwAKQ
Aber zurück zu der Flücht­lings­pro­ble­ma­tik. Wenn ich ver­su­che an die­sem kon­kre­ten The­ma Tole­ranz zu üben, wer­de ich schei­tern. Denn gera­de bei gesell­schaft­li­chen The­men ist es auch sehr häu­fig durch die Gesell­schaft defi­niert, was denn tole­rant und was into­le­rant zu sein hat.
Was ist denn die gesell­schaft­lich aner­kann­te Form der Tole­ranz in die­sem Fall?

Nun – man muss es ganz toll fin­den, dass z.B. die Syrer jetzt alle hier sind, weil sie doch alle Kriegs­op­fer sind. Jetzt gibt es aber auch ande­re Men­schen, die ein­heit­lich der Mei­nung sind, dass es rich­tig schei­ße ist, dass die da sind, weil sie uns unse­re Arbeits­plät­ze weg­neh­men und unse­re Frau­en vergewaltigen.

Was ist in dem Fall ech­te Tole­ranz? Denn was ist mit denen, die ande­rer Mei­nung sind, als die Mas­se? Kann ich auch denen gegen­über tole­rant sein? Tole­ranz, die auf einer Mei­nung beruht ist eigent­lich nur getarn­te Into­le­ranz – ein Wolf im Schafs­pelz! Es ist Kopf­to­le­ranz, die noch nie zur Lie­be und zum Mit­ein­an­der unter ALLEN Men­schen geführt hat, denn irgend­je­mand wird immer auf der Stre­cke blei­ben, es wird letzt­lich zur Tren­nung und zur Gewalt führen.

Es ist viel zu ein­fach zu sagen: Die Nazis sind alles Dumm­brat­zen. Oder die Gut­men­schen machen Deutsch­land kaputt. Sol­che Sicht­wei­sen und Aus­sa­gen füh­ren nicht zur Lie­be. Sie füh­ren zum Hass.

Aber was führt zur Liebe?
Nun – eine Tole­ranz, die aus dem Her­zen kommt. Und das ist – wenn man sich die Zeit dafür gibt – ein ganz stil­les, sanf­tes Gefühl. Es erwächst aus dem Still­hal­ten und Lau­schen. Es zeigt sich, wenn man das Lär­men und die Mei­nun­gen und die Ängs­te des Ver­stan­des mal unge­hört und ohne Reak­ti­on ver­klin­gen lässt.

Wenn ich also erken­ne, dass hin­ter jeder „Mei­nung” eigent­lich eine Angst und ein Man­gel steckt, kom­me ich schon­mal einen Schritt wei­ter. Also am Bei­spiel der Syrer: ich kann mich da ganz ein­fach in prak­tisch jede Mei­nung hineinstellen.

Am leich­tes­ten fällt mir der Stand­punkt, dass man die­sen Men­schen hel­fen muss. Vie­le von ihnen haben schreck­li­ches erlebt und brau­chen Schutz. In die­ser Per­spek­ti­ve sehe ich auch, dass es Deutsch­land – wenn man mal auf die­ser Ebe­ne den­ken möch­te – durch­aus auch nut­zen könn­te. Die deut­sche Demo­gra­phie ist hoff­nungs­los über­al­tert. Wir wer­den in abseh­ba­rer Zeit fast dop­pelt so vie­le alte wie jun­ge Men­schen haben. Damit der Gene­ra­tio­nen­ver­trag funk­tio­nie­ren kann, müss­te es aber eigent­lich eher umge­kehrt sein. Wir kön­nen also einen Schwung jun­ger Men­schen gut ver­tra­gen – und die meis­ten Flücht­lin­ge SIND jung. Aus die­ser Mei­nung spricht also zum Bei­spiel mei­ne Angst vor Armut im Alter.

Ich kann mich aber auch in den Stand­punkt stel­len, dass es ein Unding ist, Deutsch­land so von Men­schen einer ande­ren Kul­tur über­ren­nen zu las­sen. Der Ärger ist vor­pro­gram­miert. Ein nicht gerin­ger Teil der Flücht­lin­ge sind kriegs­trau­ma­ti­siert und gewalt­be­reit. Und es gibt auch nicht weni­ge, die aus wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen nach Deutsch­land kamen. Fau­len­zer!!! – urtei­le ich dann. Und die­se Schma­rot­zer hän­gen sich dann an die Zit­ze des deut­schen Sozi­al­sys­te­mes, wel­ches eh schon arg stra­pa­ziert ist. Auch aus die­ser Mei­nung spre­chen die ver­schie­dens­ten Ängste.

Am schwie­rigs­ten fällt mir der Stand­punkt der Reli­gio­si­tät- so die Angst vor dem Islam an sich. Aber auch da kann ich mich hin­ein­be­ge­ben, wenn ich so man­ches sehe, was Extre­mis­ten der IS so ver­an­stal­ten. Mir wird aber auch ganz flau im Magen, wenn ich sehe, was Extre­mis­ten ande­rer Reli­gio­nen „im Namen Got­tes” machen.

So – und jetzt ste­he ich da, mit mei­nem Ver­ständ­nis für alle Posi­tio­nen. Und wo mar­schie­re ich denn jetzt mit? Bei der Nazi-Demo oder bei der Gegen-Demo der Linken?

Nun – man könn­te aber auch ein­fach für SICH ste­hen und für alle Per­spek­ti­ven ein­ste­hen. Doch dann wäre man sehr angreif­bar von allen Mei­nungs­grup­pen. UND, man hät­te kei­ne Grup­pe hin­ter sich ste­hen, die einen schützt.

Und dafür braucht es schon ganz schön Mut, denn man ver­lässt dabei auf ein­mal die aus­ge­tre­te­nen Mei­nungs­pfa­de der Gesell­schaft. Man ist auf ein­mal nicht mehr Sozi­al, Rechts, Links, Spi­ri­tu­ell oder was auch immer. Man ist dann auf ein­mal nur noch ein Mensch.

Was kann ich nun also tun, wenn ich wahr­haf­ti­ge Tole­ranz in mir ent­wi­ckeln möch­te? Nun, weil wah­re Tole­ranz ja aus dem Her­zen ent­springt, kann ich sie nicht üben in Situa­tio­nen, die mich nicht kon­kret betref­fen, es ist viel­mehr not­wen­dig, dass ich da anfan­ge, wo ICH per­sön­lich und unmit­tel­bar betrof­fen bin. Also an dem Ort, an dem man gera­de ist – im täg­li­chen Leben, in der Fami­lie, mit Freun­den, beim ein­kau­fen oder beim Auto fah­ren. Das heißt natür­lich nicht, dass man alles mit sich machen lässt, denn auch man selbst ist ja Teil des gan­zen Netz­wer­kes. Es geht vor allem dar­um, dass man die Ängs­te hin­ter den eige­nen Mei­nun­gen auf­deckt und ihnen still­hal­ten kann, bis sie wie­der ruhi­ger wer­den und man die Welt dann wie­der unver­fälscht wahr­neh­men kann.

Wenn man dies mehr und mehr zu einer Ange­wohn­heit wer­den lässt, wird man fest­stel­len, dass die eige­ne Lie­bes­fä­hig­keit immer grö­ßer wird und dass auch die ande­ren Men­schen zu einem selbst immer wohl­wol­len­der wer­den und sich dadurch auch die Ängst­lich­keit und die fest­ge­fah­re­nen Mei­nun­gen mehr und mehr abmil­dern. Das gan­ze Leben wird nach und nach wohl­wol­len­der und man ver­liert die Ten­denz die Welt in Grup­pen ein­tei­len und abgren­zen zu wollen.

Denn ein jeder Mensch sehnt sich tief im Her­zen doch nur danach zu lie­ben und geliebt zu wer­den. Und damit kann man eben am bes­ten da anfan­gen, wo man wohnt, lebt, arbei­tet oder ander­wei­tig wirkt und das öff­net dann auch das Herz für Men­schen und Situa­tio­nen, die wei­ter weg sind.

Da beginnt auch eigent­lich erst wirk­lich die Frei­heit. Und eben auch die tie­fe Ver­bun­den­heit mit den ande­ren Menschen.

Der Weg dahin ist ver­dammt unbe­quem, aber wenn man die­se Art der Frei­heit und Tole­ranz mal erlebt hat, blei­ben auch kei­ne Fra­gen mehr übrig. Es ist klar, was zu tun ist und was nicht – man fin­det dann ganz leicht eine Waa­ge zwi­schen den eige­nen Bedürf­nis­sen und denen der Ande­ren und das Leben wird immer fried­vol­ler und harmonischer.

Das Resul­tat ist dann ein sehr schö­nes und leich­tes, der Weg dahin manch­mal aber gar nicht so einfach.

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